Was die Füchsin erzählte...

"Es gab da einen Fuchs, der hat mir gefallen, wie er so lässig am Waldrand entlang trabte. Geschmeidig und federnden Schrittes kam er auf mich zu. Wahrscheinlich hatten ihn meine sehnsuchtsvollen Schreie der letzten Nächte angelockt. Oder war es mein besonderer Duft, den ich zur Zeit verströme? Ich weiß, das Parfüm einer Füchsin können Fuchsrüden über viele Kilometer Entfernung wittern. Es elektrisiert sie und sie folgen der Duftspur. Zuerst hörte ich nur sein helles Gebell, das durch den winterlichen Dezemberwald zu mir drang. Anfang Februar wurden wir ein Paar. Wenn wir im frisch gefallenen Pulverschnee hitzig und übermütig miteinander umhertobten, stoben die Schneeflocken wie Sprühregen um uns auf. Zärtlich haben wir uns beknabbert, geleckt und sanft aneinander gerieben. Wir kuschelten uns zum Ruhen ganz nah aneinander und haben uns so gegenseitig gewärmt. In einer hellen Mondnacht habe ich ihn seine Vorderpfoten auf meinen Rücken legen lassen und wir paarten uns. Unter dem großen Felsen, der von Fichten, Ebereschen und Kirschbäumen schützend umstanden ist, fand ich einen schönen Bau. Hier brachte ich Anfang April unsere Jungen zur Welt. Es waren wirklich viele, gleich sechs winzig kleine Wollknäuel, die sich noch blind und taub schützend in meinem Fell wärmtem. Ben, mein Rüde, der Vater der Welpen, hat uns in dieser Zeit fürsorglich mit Fressen versorgt. Ich hätte die Kleinen auch nicht allein lassen können. Als sie vier Wochen alt waren, fingen wir an, ihnen feste Nahrung vorzulegen. Ben brachte unzählige Mäuse, gelegentlich einen Hasen oder Stücke von einem toten Tier, das er auf der Straße gefunden hatte. Um die sechs hungrigen Mäuler satt zu bekommen, brauchte es täglich eine größere Menge Futter.
Dann geschah das Schreckliche. Gefahr lag in der Luft. Unruhig verließ ich den Bau und eilte der bedrohlichen Witterung folgend durch den Wald. Ich fand ihn am Rande der Fichtenschonung, er war von Menschen getötet worden. Seinen wunderschönen buschigen Schwanz hatten sie abgeschnitten und mitgenommen. Sein entstellter Kadaver lag unter einem Baum. Überall hing Menschengeruch in der Luft. In Panik eilte ich zurück zum Bau und zog mit den Jungen in einen anderen Unterschlupf um. Seitdem ist einige Zeit vergangen.
Ich muss jetzt alleine für uns sorgen. Es ist schwer. Wenn ich von der Pirsch zurückkomme, stürzen sich meine Welpen fordernd und ungestüm auf mich in der Erwartung, sich satt fressen zu können. Die letzten Tage habe ich nur wenig erbeutet. Ich selbst bin auch schon ziemlich abgemagert und sehe zerzaust aus. Nicht weit von hier bei dem Haus am Wald gibt es fette Hühner. Oft schon habe ich am Morgen den Schrei des Hahns vernommen. Natürlich rieche ich sie auch bis hierher. Solch ein Huhn oder vielleicht auch mehrere wären jetzt dringend nötig, um die Jungen und mich wieder einmal richtig satt zu bekommen. Bis jetzt habe ich es nicht gewagt, es gibt dort ums Haus Menschen, und der Geruch von Hunden hängt in der Luft. Auch sind die Hühner nur am Tage frei, in der Nacht sind wohlverschlossen in einem Stall. Das habe ich schon viele Male überprüft. Es ist gefährlich, sich am Tag menschlichen Behausungen zu nähern, doch ich muss es wagen. Es regnet. Das ist gut, dann sind Menschen und Hunde im Haus. Von Deckung zu Deckung vorwärts schleichend, dann durch das Gras über die Wiese, nähere ich mich dem Haus. Trotz der Erregung und der Spannung, die diesen Gang begleiten, mache ich keinen Fehler. Geschmeidig ducke ich mich unter dem Stacheldraht hindurch. Weder Hunde noch Menschen sind in der Nähe, doch deren intensiver Geruch lähmt mich fast vor Angst.
Ich drücke mich hinter die Terrassenmauer ins Gras, nicht weit vor mir picken die Hühner etwas aus einer Schüssel. Jetzt, einige Sprünge vorwärts, und ich habe ein weiß-schwarz gepunktetes Huhn im Maul. Es schreit und flattert, aber ich lasse es nicht los, bis es ruhig ist. Da geht die Tür auf..."

... Die Autorin erzählt...
"...bei mir zu Hause an einem Morgen im Frühsommer.
Ein sanfter Juniregen war gefallen, doch nun fielen zaghaft Sonnenstrahlen auf die blühenden Wiesen. Ich stand in der Küche und rührte den Teig für einen Kuchen. Was für ein heiterer, friedlicher Tag. Plötzlich durchschnitt ein lauter, schriller Schrei die Stille. Dann waren lautes Kreischen und aufgeregtes Geflatter zu hören. Ich riss die Tür zur Terrasse auf. Keine drei Meter von mir entfernt stand sie, die Füchsin. In ihrem Maul klemmte ein schlaffes, lebloses Bündel aus weißen Federn mit schwarzen Punkten. Es war mein Huhn, ein wertvolles Tier einer seltenen Hühnerrasse. Bevor Gefühle wie Ärger und Wut aufkommen konnten, blickte ich mit Erstaunen auf das Geschehen und spürte die Präsenz der Füchsin jenseits von jeder menschlichen Wertung. Genau wie ich stand sie da, erstarrt und erstaunt. Sie nahm meine Witterung auf, prüfte mich und blieb stehen. Ihr flammend rotes Fell leuchtete in so vielen Schattierungen, wie es nur Tizian in seinen Gemälden festhalten und wiedergeben kann. Die Sonne brach sich in unzähligen Wassertröpfchen, die an den Haarspitzen ihres tropfnassen Fells wie Diamanten funkelten. Ihr prächtiger, buschiger Schwanz, die Lunte, war von einer alabasterfarbenen Spitze gekrönt. Sonnenstrahlen säumten hell auch die Spitzen ihrer samtigen Ohren. Ich war fasziniert von der ungewöhnlichen Schönheit dieser Füchsin. Unsere Augen begegneten sich - die ihren waren leuchtend gelb mit senkrechten schwarzen Pupillenschlitzen.

Für den Bruchteil einer Sekunde war sie mir so nah, dass ich sie einfach verstand: "Ich musste dein Huhn holen, ich bin eine Mutter wie du und muss sehen, dass ich meine Kinder satt bekomme. Das ist manchmal ganz schön anstrengend, wie du weißt. Im Wald habe ich einfach nichts anderes gefunden. Dieses Jahr habe ich so viele Mäuler zu stopfen, und so hatte ich keine andere Wahl."

Mit füchsischer Wendigkeit drehte sie sich um, glitt garziös die Treppe der Terrasse hinunter, sprang federleicht über den Bach, duckte sie unter dem Zaun hindurch und entfernte sich in Richtung Wald. Sie ist dieses Jahr nicht wiedergekommen..."

aus TIERVERBÜNDETE (Susanne Fischer-Rizzi)

 
 

Übersicht der Geschichten:

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  • Old pirates yes they rob I   Sold I to the merchant ships   Mi
  • Gehe gelassen inmitten von Lärm und Hast   und denke daran wi
  • Ich wünsche Dir ein warmes Herz   und darin eine Nachtigall.
  • Wo kämen wir hin   wenn alle sagten   wo kämen wir h
  • Man muss den Dingen die eigene,   stille ungestörte Entwickl
  • Man muss den Dingen die eigene,   stille ungestörte Entwickl
  • Weil Deine Augen so voll Trauer sind,   Und Deine Stirn so schwer
  • So wie man manchmal aus dem Zustand träumenden Halbschlafs mit de
  • Weine nicht um mich   Denn wirklich weg, das bin ich nicht  <
  • Weine nicht um mich   Denn wirklich weg, das bin ich nicht   <
  • Es ist ein Geheimnis,   einem Pferd richtig nahe zu stehen.